Beitrag von Tino Krattiger
Das besagt eine Liedzeile von Reinhard Mey – richtig, das ist der, der einst über den Wolken schwebte und dabei die Erkenntnis hatte, dass an diesem Ort die Freiheit wohl grenzenlos sei.
Inzwischen ist aus dem damals etwas weichgespülten Zeitgenossen kein altersmilder geworden. Im Gegenteil: Er ist nach wie vor ein freiheitsliebender Barde, der Politikern zutiefst misstraut. Recht hat er, wenn er warnt: «Sei wachsam, präg dir die Worte ein! Sei wachsam und fall nicht auf sie rein! Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt, die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!»
Wer sich heute, in Zeiten von Covid-19, im Netz bewegt, zum Beispiel auf Facebook, macht die erschütternde Erfahrung, dass die meisten die Freiheit preisgegeben haben. In unserem Falle an die Kantone und an den Bundesrat.
Die Argumente dafür kennen wir zuhauf und deshalb möchte ich auf diese nicht weiter eingehen. Nur frage ich mich, was sind die Folgen? Zurzeit haben wir Schweizerinnen und Schweizer unsere gesamten demokratischen Freiheitsrechte abgetreten. Und es regt sich kaum Widerstand. In Deutschland das Gleiche – dort aber gibt es Gegenwehr in Form von zum Teil berechtigter und scharfer Kritik. Bei uns hingegen gibt es einen Maulkorb, nicht von «oben», von Volkes Stimme. Und warum? Weil das Unkontrollierbare hinter jeder Hausecke lauert – der Tod. Zugegeben, Gevatter Tod ist ein humorloser Geselle, macht keinen Unterschied zwischen den Ständen und tippt jedem auf die Schulter, gerne sogar den Alten und Schwachen. Darum war das alles ja auch sinnvoll. War und ist es – ja. Aber nicht um jeden Preis.
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt. Welche Freiheit bleibt uns denn noch? Ich meine, die Freiheit zu denken und kritisch zu fragen, zu hinterfragen. Und vertrackt ist es mit der Dialektik, auch da schlägt einem die breite Öffentlichkeit, oder soll ich sagen der Mob, mit dem Lineal auf die Finger. Kritische Frager müssen sich dann wüste Beschimpfungen in den Foren anhören. Das Tragische daran: Aus Zensur wird Selbstzensur. Aus Achtsamkeit Denunziantentum. «Besorgte» Bürger rufen die Polizei, weil da wieder mehr als fünf Menschen unterwegs sind, weil sie «genau sehen», dass der Abstand von zwei Metern nicht eingehalten wird. Wütende schreien nach Massnahmen wie in Italien und fordern den totalen Einschluss aller Mitbürger!
Wie soll man Zensur denn noch beschreiben? Gar nicht. Denn genau das ist es. Selbstgewählt und selbstverschuldet. Das ist das Gegenteil von Freiheit, von freiheitlichem Denken, von einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung. Noch vor sechs Monaten wäre diese Schilderung belächelt worden. Im Hier und Jetzt wird stattdessen das umfassende Handytracking gefordert. Es ist wie die ewige politische Frage nach Überwachung im öffentlichen Raum und die damit einhergehende Stammtischmeinung: «Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, hat auch nichts zu befürchten.» Der Schuss kann aber bekanntlich auch nach hinten losgehen.
Ich gebe zu, auch ich fand in Zeiten der grenzenlosen Freiheit ein «Freiheitspodium» der FDP eher niedlich. Heute meine ich, wir brauchen es dringender denn je. Wir dürfen nämlich nicht aufhören, Demokratie zu leben, nicht aufhören, den Widerspruch zu fördern, zu widersprechen – Widerworte hiess das früher mal so schön –, Widerworte zu geben. Nachzufragen, zu hinterfragen, unbequem zu sein und den «Mächtigen auf die Finger zu klopfen». Denn wir haben doch aus der Geschichte gelernt, was geschieht, wenn wir die Demokratie preisgeben. Oder? Haben wir doch?
Darum zitieren wir den alten Liedermacher noch einmal: «Sei wachsam, merk dir die Gesichter gut! Sei wachsam, bewahr dir deinen Mut. Sei wachsam und sei auf der Hut!»